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Festrede für den Abiturjahrgang anlässlich der Entlassfeier am 02.07.2021

Liebe Abiturientia,

sehr geehrte Eltern und Verwandte,

sehr geehrte Ehrengäste,

liebe Mitglieder der Erasmus-Familie, aktive wie ehemalige,

liebe Freundinnen und Freunde des Erasmus-Gymnasiums,

 

der Erfolg wird einem genauso wenig in die Wiege gelegt wie ein Goldbarsch. Dieser Satz klingt jetzt vielleicht auf bedenkliche Weise sinnfrei, aber wenn Sie heute Abend oder später über den Gehalt dieser Rede reflektieren, verspüren Sie vielleicht Appetit auf Fisch. Apropos Fisch: Es geht die Kunde, dass sich der römische Politiker Marcus Licinius Crassus im Senat der Schmährede des Domitius zu erwehren wusste, der den reichen Crassus verspotten wollte, weil dieser über den Tod einer Muräne, einem dumpfen, rotäugigen, stummen Fisch seines Zierteiches, Tränen vergossen hatte. Crassus begegnete dem Hohn mit der Aussage: „So habe ich beim Tod meines Fisches getan, was Ihr weder bei Eurer ersten noch Eurer zweiten Frau Tod getan habt.“

Wir sehen, es benötigt nur wenige Zeilen um von der Leichtigkeit einer Goldbarsch-Blödelei zu der ernsthaften Erprobung des moralischen Kompasses zu gelangen. Unser aller moralischer Kompass hat in den vergangenen zwei Jahren häufig ausgeschlagen. Und bei all der Angst und der Wut und der Frustration und der Sorge und des Ungemachs ob der Pandemie, bei all den Rissen und den Verwerfungen und den Klüften, die unsere Familien, Freundschaften, Arbeitskollegien, Gemeinschaften ob der politischen Entscheidungen durchzogen haben – es ist ein nicht zufälliger, nicht in die Wiege gelegter Erfolg, dass wir als Erasmianer uns am heutigen Tage, genau hier und jetzt in die Augen schauen können, ohne uns etwas vergeben oder verzeihen zu müssen.

Wir dürfen feiern und wir feiern euch, liebe Schülerinnen und Schüler der Q2, die ihr als komplette Stufe das pandemische Abitur bestanden habt. – Wie geil ist das denn?

Euer bescheidenes Motto „Abiversal – Autogramme gibt’s später“ hat dies bereits vor gut einem Jahr prätendiert. Auch wenn dies laut google-Sucheinträgen in der jüngeren Vergangenheit ein beliebtes Abiturmotto gewesen sein mag, bin ich als Sprachwissenschaftler einigermaßen verwirrt und als Schulleiter geradezu besorgt. Das Wort „Abitur“ gründet sich auf das Verb „abire“, welches „weggehen, davongehen“ bedeutet. Insofern war und ist schon immer mit der bestandenen Abiturprüfung das Verlassen der Schule verbunden. Der Wortteil „versal“ des fragwürdigen Kompositums „Abiversal“ hingegen stammt von dem lateinischen Wort „versus“, was „Wendung“ und „Umkehr“ heißen kann.

Ihr werdet die Umsetzung dieser Drohung doch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen? Was wollt ihr denn noch? Ihr habt doch schon alles von uns! – Ach ja, ich vergaß: die Autogramme!

Wir sollen euch also nach dem Abitur noch zur Politur eurer Eitelkeiten verhelfen? Verwegenes, früh verdorbenes Pack! Hektisch suche ich nach einem passenden Erasmus-Zitat. Da – gefunden: „Wer dem Laster dient, der gibt sich dem Teufel gefangen.“

Da sich der Schulleiter in mir bereits in Rage eifert, hebt der Sprachwissenschaftler besänftigend die Hand. Das lateinische Wort „versus“ bedeutet vornehmlich in der Semantik des Tanzens „Wendung“ bzw. „Umkehr“. Hinter dem Adverb „quoque“ meint es indes: „überallhin“.

„Überallhin davongehen“ lautet also euer Spruch. Und die Analogie zum Bildungsmotto unseres Namenspatrons: „Ich möchte Weltbürger sein, überall zu Hause und - was noch entscheidender ist - überall unterwegs.“, drängt sich mir versöhnlich auf. Meine Naivität, die mir vorgaukelt, dass meine Interpretation eurer Intention bei der Mottowahl entspricht, hält über meine Beruhigung bis hin zu meiner … Beschämung vor.

Ja, beschämt stehe ich da, als ich merke, dass ich zwei Drittel meiner Ansprache mit deplatziertem Gezeter und einer wirren Rede über den Goldbarsch vergeudet habe.

Ich möchte Versäumtes wiedergutmachen, will euch im Namen des gesamten Kollegiums loben dafür, dass ihr Entbehrtem und Verwehrtem zum Trotz duldsam und tapfer wart, wie keine Schülergeneration vor euch seit der Nachkriegszeit, will euch hochleben lassen dafür, dass ihr - zurecht - der Stolz und die Blume aller Anwesenden seid. Doch da fällt mein selbstzufriedener Blick auf die Erasmus-Sprüche, die ich vorhin allzu leidenschaftlich durchforstet habe.

Da steht: „Prüfen wir auch das, was die Welt Ruhm, Schimpf und Schande nennt. Du wirst gelobt. Weswegen und von wem? Wenn schändlicher Dinge wegen und von schändlichen Leuten, so ist dieser Ruhm falsch und in Wahrheit Schande.“

Mein Lob, das Lob des ganzen Kollegiums wäre demnach schändlich, wenn ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, uns als schändlich erachtetet. Wie traurig das doch wäre! Und so kommt es, dass am Ende eurer Schullaufbahn, am Ende dieses Schuljahres und am Ende dieser Rede nur die Demut uns voneinander lösen kann. Denn nur in der Demut, der großen Schwester der Toleranz, reichen wir uns die Hände nicht nur aus Anerkennung, sondern auch zur Versöhnung mit allen - und mit uns selbst.

Damit die Schulleiterrede aber nicht wie eine Predigt ausklingt, kehren wir noch einmal kurz zum Goldbarsch zurück. Als Würdigung eures außerordentlichen Erfolges zeichnet das Erasmus-Kollegium bei der Zeugnisübergabe jeden einzelnen von euch mit einer Goldbarsch-Trophäe aus. Aus Gründen des Markenschutzes darf ich diese Statue nicht „Osc…“ nennen, also heißt sie für uns „Goldbarsch“. Das ist zwar kurios, passt aber irgendwie zur Rede.

Und wenn euch der Name Goldbarsch zu … abwegig erscheint, dann streicht doch einfach das „b“ aus dem Namen. Immerhin eine findige Alternative.

 

Liebe Abiversal-Abiturienten,

möge die Weite des freien Himmels, der sich über euren Köpfen erstreckt, ein steter Ansporn sein für euren geistigen Horizont, nicht stehen zu bleiben auf der Stelle, sondern weiter zu wachsen. Mögen inhumanes Trachten, die Logik der Ab- und Ausgrenzung und die Rhetorik der Angst und des Terrors von eurem Verstand gestellt und von eurer Stimme diskreditiert werden und vor allem in eurem Herzen keinen Platz finden. Dies wünsche ich mir von euch für eure Kinder.


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