Liebe Schülerinnen und Schüler,
liebe Eltern,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde des ERΛSMUS-Gymnasiums,
wie gediegen und beschaulich, wie sorgenfrei naiv lesen sich die Vorworte der vergangenen ERΛSMUS-Nachrichten, wenn ich jetzt, in der schulischen Verwaltung einer veritablen Pandemie, einnehmende Zeilen der Begrüßung verfassen soll.
Der Januskopf sieht doppelgesichtig auf das Vergangene und Zukünftige zugleich, allenthalben auf verzehrte Kräfte, auf in die Gemüter eingenistete Sorgen, auf periodisch aufwallende Ängste, auf die Havarie von Idealen wie Solidarität, Altruismus und Gemeinsinn. Im Würgegriff des pandemischen Schreckens leitet uns die Angst, geben wir der Frustration das Wort, suchen wir fiebrig nach schuldhaftem Tun und fordern damit uns und die Gesellschaft, deren Fittiche uns doch eigentlich Heimat sind, angriffslustig heraus.
Schaue ich aus den Fenstern meines Dienstzimmers heraus, so sehe ich den bröckelnden Konsens in unserer Gesellschaft. Politische Entscheidungen und Maßnahmen werden zunehmend nicht nachvollzogen, einer Willkür zugeordnet, als unnötig und aufnötigend empfunden. Es entsteht eine selbstreferentielle Diskurskultur, Verschwörungstheorien gewinnen an Fahrt und der Populismus erhält Einzug in die Sachdebatte. Unsere ohnehin schon dünne Zivilisationsschicht schmilzt dahin.
Diese Stimmung trifft diejenigen, die ihr am wenigsten entgegenzusetzen haben, besonders hart: unsere Schülerinnen und Schüler. Sie haben Probleme mit ihrer Infrastruktur, leiden an der Entsozialisierung ihrer Milieus, können sich nur schwer organisieren, sind gleichzeitig durch die neuen Kommunikations- und Begegnungsprozesse sozial gestresst, sollen ohne Abstriche Leistung erbringen und sind umgeben von immer frustrierter werdenden Erwachsenen. Diese Situation fordert das pädagogische Ethos von Lehrerinnen und Lehrern in einer zuvor nicht dagewesenen Weise. Ihre besondere Aufgabe liegt in dieser Zeit in der großmütigen pädagogischen Zugewandtheit, in der Achtsamkeit, die es ihnen ermöglicht, pädagogische Problemfälle zu erkennen, und in der Besonnenheit, ihre Energien an der richtigen Stelle einzusetzen, etwa um beruhigend und zuversichtlich auf ihre Schülerinnen und Schüler einzuwirken. Da ich diese Zeilen verfasse, im November des Jahres 2020, ist die Schule die letzte gesellschaftliche Stütze einer verantwortbaren Normalität für die Schülerinnen und Schüler. Die Qualität dieser Normalität wird allein konstituiert durch pädagogisches Tun.
Man muss dem Idealismus nicht abschwören um sich einzugestehen, dass wir, auch wenn wir uns nach Kräften um Regulative und Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens bemühen, in den nächsten Monaten einen schweren Gang zu bewältigen haben. Die Zahl der Infektionen und der damit verbundenen Quarantänemaßnahmen werden steigen, das Nebeneinander von Präsenz- und Distanzunterricht wird zu unserem Alltag werden. Dieser kuriose, uns alle kompromittierende Zustand ist aber zu organisieren und zu bewältigen: er ist vorübergehend. Auch dieses Schuljahr wird so oder so abgewickelt werden. Es mag sein, dass der ein oder andere unbotmäßig von diesem Ausnahmezustand profitiert. Das ist ein geringes Übel.
Stattdessen gilt es, dem großen Übel der seelischen Verkümmerung entgegen zu wirken. Dazu müssen wir, auch wenn von den Masten her „Endzeit“-Gekreische an unsere Ohren dringt, den Kahn auf stabilem Kurs halten. Aus eigenen Beobachtungen und vielen Rückmeldungen weiß ich, dass das Kollegium und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Erasmus-Gymnasiums hierbei eine ganz hervorragende Arbeit leisten und sehr umsichtig, seriös und fürsorglich agieren.
Dafür danke ich allen ausdrücklich.
In allegorischen Darstellungen verkörpert Janus übrigens den Winter („Januar“). Seine Tochter Canens („Sängerin“) konnte Berge versetzen und wilde Tiere besänftigen.
Die Menschen seit jeher erbauende Geschichten hören so nicht etwa auf; sie fangen so an…
Herzliche Grüße
Dr. Michael Collel
Erasmus-Gymnasium Grevenbroich