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Festrede für den Abiturjahrgang anlässlich der Entlassfeier am 28. Juni 2024

Liebe Abiturientia,

sehr geehrter Herr Dr. Cremerius,

sehr geehrte Ehrengäste,

sehr geehrte Eltern und Verwandte,

liebe Mitglieder der Erasmus-Familie, aktive wie ehemalige, liebe Freundinnen und Freunde des Erasmus-Gymnasiums, 

 

dies ist meine siebente Abiturrede als Schulleiter des Erasmus-Gymnasiums. Ich habe Mottoreden halten „dürfen“ zu:

„Welcome to fabulous ABI VEGAS Erasmus 2018. 12 Jahre hoch gepokert“

„Hakuna MatAbi“ (2019)

„Sternhagelvoll“ (2020)

„Abiversal – Autogramme gibt’s später“ (2021)

„ABIleave – I can fly!“ (2022)

„Kaptän Blaubärs Abiball - Immer Blau. Trotzdem Schlau.“ (2023)

Und nun: „Abicolada“


Ich frage euch ernsthaft: Wollt ihr mich fertigmachen? Ihr kommt random mit einem Motto daher und feiert euch ab, wenn ich hier oben als NPC down gehe. „Abicolada“ als Aufhänger für eine sinnstiftende, zukunftsweisende, niveauvolle Abiturrede. - Das ist so ehrlos, Digger!



Ideen- und planlos, und daher einigermaßen unwillig, versuche ich einen linguistischen oder philosophischen Anpack für euer Motto zu bekommen, doch sprachliche Herleitungen erscheinen zu billig oder beliebig und die Philosophie des Alkohols oder die anthropologische Begriffsbestimmung des Menschen als feierndes Wesen zu banal oder witzlos.


Eine Abiturrede ohne Sinnstiftung, Zukunftsweisung und Niveau? – Vielleicht, vielleicht aber auch die Gelegenheit für eine allerletzte Lektion:


Ihr seid als Kinder Grevenbroichs im Rheinland aufgewachsen. RheinländerIn zu sein ist eine Lebenskultur: Karneval, Schützenfeste, Palaver, Kölsch, Humor, Klüngel, Frohnatur, Lebenslust, Toleranz. Sprachlichen Ausdruck findet die Lebenseinstellung des Rheinländers in den zehn Geboten des kölschen Grundgesetzes, einer Sammlung von geflügelten Worten, die nicht nur im Karneval, sondern zu jeder Jahreszeit, den Umgang der Rheinländer mit ihrer Umwelt widerspiegeln. Zu diesen mundartlichen Redensarten gehören beispielsweise:


Das bedeutet zusammengefasst: Sieh den Tatsachen ins Auge und füge dich in dein unabwendbares Schicksal, denn du kannst ohnehin nichts am Lauf der Dinge ändern. Wir stellen also fest: der Rheinländer ist zwar humorvoll, lebenslustig und tolerant, aber von Natur aus auch passiv, unverbindlich und fatalistisch.

 

Ihr seid aber nicht nur Kinder eines konkreten Ortes (Grevenbroich), sondern auch einer konkreten Zeit. Ihr habt zurecht einen Anspruch auf euer Leben und ihr habt ein Recht darauf nichts wissen zu wollen von Krisen, Kriegen und Katastrophen. Ihr sollt hungrig aufs Leben sein dürfen, es für euch beanspruchen dürfen, euch darin mit offenen Armen und in vollen Zügen verwirklichen dürfen.

Das will ich auch.

„Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel

Zum Frühstück Canapés und ein'n Wildberry-Lillet

[…]

Private Jet in der Garage und Flamingos in mei'm Garten

Will am Tisch die besten Karten, ich will haben, haben, haben

[…]

Private Spa auf vier Etagen, in Champagner-Becken baden

Will für immer alles gratis, ich will haben, haben, haben

[…]

Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel

Zum Frühstück Canapés und ein'n Wildberry-Lillet“


Das bedeutet zusammengefasst: Greife weidlich zu, nimm, nimm alles und beanspruche noch mehr, erstrebe Luxus, bade im Überfluss, gönne dir Maßlosigkeit.

Was wählt ihr nun als Abicolada? Ein „Kölsch“ aus dem Rheinland? Ein Wildberry-Lillet?


Da ich diese Zeilen schreibe, fällt mein Blick auf eine Flasche Wein. Es handelt sich um einen Riesling Spätlese, Halbtrocken, Jahrgang 2020 vom Weingut Mayschoss Altenahr. Das Etikett ist schlammverdreckt. Die Weißweinflasche überstand die Flutkatastrophe am 14.07.2021. Sie überlebte Menschen. Ich werde sie Zeit meines Lebens nicht öffnen, werde den Wein nicht trinken. Ich kann nicht.


Und genau jetzt, da ich hier vor euch stehe, fühle ich in demselben Moment das Falsche und das Richtige zugleich:

„Et hätt noch emmer joot jejange.“ – Nein. Das Leben ist zu kostbar um es dem Schicksal zu überlassen.

 „Will für immer alles gratis, ich will haben, haben, haben.“ – Nein. Ich will die Dankbarkeit und die Demut, weil ohne sie aller Besitz, alles Haben bedeutungslos ist.

Ich will nicht hier vor euch stehen, mit dem T-Shirt und der „Wildberry-Lillet-Kappe“ und dabei diese Weinflasche aus dem Ahrtal in der Hand haltend. Das ist abgeschmackt, das ist widerwärtig, das ist ignorant, das ist dekadent – und sagte ganz entschieden etwas über mich aus, das mir peinlich wäre. Ich treffe eine Entscheidung, distanziere mich und entferne T-Shirt und Kappe.


Ja, ihr habt zurecht einen Anspruch auf euer Leben und ihr habt ein Recht darauf nichts wissen zu wollen von Krisen, Kriegen und Katastrophen, aber ihr habt die moralische Pflicht euren Anspruch auf Lebenstauglichkeit hin zu prüfen.


Denn ihr seid das Maß aller Dinge. Dieser auf den Sophisten Protagoras von Abdera zurückgehende Homo-mensura-Satz bedeutet nicht etwa, dass ihr die Krönung der Schöpfung seid, sondern – in meiner Interpretation – dass ihr die Messenden alles Moralischen seid. Ihr unterzieht die Welt einer Messung, ihr entscheidet, was bemessen ist, ihr definiert Ermessensspielräume – und ihr verantwortet eure Duldung von Maßlosigkeit in eurem späteren Einwirkbereich als zukünftige BürgerInnen, KollegInnen, FreundInnen und Eltern. Und wenn ihr dereinst an einem Abend in der Schule eurer Kinder sitzt, und ihr euch zu der kostenfreien Einführung von gleichen, digitalen Endgeräten für alle Schülerinnen und Schüler verhalten könnt, dann wünsche ich euch das rechte Maß.


Zu diesem Wunsch gesellt sich die feste Überzeugung, dass ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, die hierzu nötigen Voraussetzungen mitbringt. Wir, das sind ausnahmslos alle MitarbeiterInnen dieser Schule, haben euch in den vergangenen acht Jahren sehr gerne begleitet und wir freuen uns mit jeder und mit jedem über den erfolgreichen Abschluss eurer Schullaufbahn. Es war uns eine Ehre, dass ihr unsere SchülerInnen ward.


Zum Abschluss dieser Rede möchte ich unserer Dankbarkeit auch auf anderer Weise Ausdruck verleihen. Da das rechte Maß zu treffen geübt sein will, schenkt das Erasmus-Gymnasium bei der späteren Zeugnisübergabe einer jeden und einem jeden von euch einen Cocktailshaker, auf dass ihr eure individuelle Abicolada zusammenmixen oder -brauen könnt.


Zum Wohle!

Dr. Michael Collel

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